Folgender Text ruht schon etwas länger unvollendet auf meiner Festplatte. Da er sich kaum von selbst vollenden dürfte, veröffentliche ich ihn jetzt einfach mal – zumal er auch schon recht weit gediehen ist. Viel Spaß damit.
Zeitreise im Wandel der Zeit
Im Nachklang unserer Zeitreise-Sonderepisode von Ausgespielt – dem (nicht nur) #Rollenspiel #Podcast, wurden wir von der geneigten Hörerschaft unter anderem auf ein älteres Rollenspiel aus dem Jahr 1993 namens Chronosaurus hingewiesen. Dieses war bei Redaktion Phantastik erhältlich. Ich war interessiert und habe es mir umgehend besorgt.
In der 10. Episode unseres Podcasts verliere ich bereits ein paar Worte darüber – ich denke aber, dass Chronosaurus es wert ist, hier noch einmal etwas ausführlicher besprochen zu werden. Wobei dies aber weniger eine Rezension wird als eine Darstellung der Assoziationen und Inspirationen, die das Rollenspiel bei mir hervorgerufen hat.
Abgeschlossene Kampagne
Im Grunde handelt es sich bei Chronosaurus eher um einen Kampagnenband. Hintergrund, Szenario und Regeln werden zwar erschöpfend dargestellt – und sind auch eine sehr kreative Eigenschöpfung –, der Schwerpunkt liegt aber auf einer Kampagne aus fünf Abenteuern. Und sobald diese durchgespielt ist, hat sich das Szenario im Grunde erledigt. Mit etwas Fantasie kann jede Spielleiterin, jeder Spielleiter das vorliegende Material natürlich erweitern – aber bis auf eingestreute eigene Abenteuer ist dies von den Macherinnen und Machern so eigentlich nicht vorgesehen.
Kleine Anmerkung: Damals wurden in Fanzines diverse Erweiterungen und Überarbeitungen veröffentlicht. Eine Twitter-Bekanntschaft hat mir das Material dankenswerterweise zukommen lassen. Dennoch berücksichtige ich es in diesem Artikel nicht – auch weil besagter Twitterer selbst eine größere Abhandlung zum Thema plant.
Das zugrundeliegende Szenario ist schnell erklärt: Gegen Ende des Dinosaurierzeitalters hat sich eine Zivilisation intelligenter Dinos entwickelt. Diese wird nun mit dem bevorstehenden Einschlag eines Kometen konfrontiert. Zum Glück hat gerade rechtzeitig ein Wissenschaftler eine Zeitmaschine erfunden. Leider ist er aber verschwunden und hat nur einen Prototyp hinterlassen. Um nun den Wissenschaftler aufzuspüren, damit er schnell noch ein paar Maschinen bauen kann, mit denen dann die Dinosaurierheit in eine andere Zeit gerettet werden soll, werden die Spielerinnen und Spieler mit dem Prototyp auf die Suche in mehrere andere Epochen geschickt – natürlich alle im Zeitfenster der menschlichen Historie.
Chronosaurus ist kein Zeitreise-RPG
Das soll kein Vorwurf sein. Aber im Sinne der Diskussion in unserer Zeitreise-Episode taugt Chronosaurus streng genommen nicht als Beispiel eines Zeitreise-Rollenspiels. Denn die Zeitreise ist hier nicht mal im Ansatz Thema des Spiels. Sie dient nur dazu, die Spielerinnen und Spieler in unterschiedliche Umgebungen zu transportieren, wo sie ihre Abenteuer zu bestehen haben. Ziel der gesamten Kampagne ist es, den erwähnten Wissenschaftler aufzuspüren und in die Ursprungszeit zu holen. Rein von der Handlungslogik her könnten es also genauso gut andere Länder oder Planeten sein, die nach der Zielperson zu durchsuchen sind. Es gilt weder, die Zeitline zu verändern oder wiederherzustellen. Man muss nicht mal aufpassen, sich mit Änderungen zurückzuhalten. Lediglich im letzten Abenteuer klingt ein wenig an, dass es ein Ereignis zu verhindern gilt.
Daher ist das gesamte Szenario auch so konstruiert, dass die Spielerinnen und Spieler keinesfalls die Möglichkeit haben, mit ihrer Zeitmaschine rumzuspielen – sie bringt sie nur einmalig an die vorgesehenen Zielorte beziehungsweise -Zeiten und sonst nichts. Die Zeitreise ist somit lediglich das Mittel, um von einem Abenteuer zum nächsten zu gelangen. Das ist aber wie gesagt nicht als Vorwurf gemeint. Das Hauptthema und somit der Reiz des Spiels liegen eben woanders.
Zu den „fehlenden“ Regeln
Eine Besonderheit – vor allem wenn man die Entstehungszeit berücksichtigt – ist das minimalistische Regelwerk. Die Autorinnen und Autoren verzichten bewusst auf Charakterwerte und Würfelproben – überhaupt soll man Proben gleich ganz weglassen. Konflikte sollen stets ausgespielt werden. Schließlich – so die Argumentation – müssen die Hürden in einem Abenteuer ohnehin nach den Vorgaben der Handlung gemeistert oder umgangen werden, da diese sonst ein jähes Ende fände oder zumindest arg ins Stocken geriete.
Ich kann diese Ansichten bis zu einem gewissen Grad gut nachvollziehen. Heute sind viele der Ansätze, zum Beispiel das Einbeziehen von Spieler-Ideen, in Regelsystemen wie Arkana, Storyteller oder FATE umgesetzt.
Sehr schön fand ich aber die Parallele zu meinem eigenen Einstieg ins Rollenspiel, der sogar ungefähr zu derselben Zeit stattfand, als Chronosaurus entwickelt wurde. Nur nahmen wir damals eher den umgekehrten Weg. Als sich Anfang der 90er zunächst zwei Freunde und ich spontan entschlossen, mal mit Rollenspiel anzufangen, haben wir dies erst einmal komplett frei gestaltet. Einer erzählte die Geschichte und wir sagten einfach, wie wir uns verhalten. Keine Charakterwerte, keine Würfel. Kämpfe wurden zwar nicht vermieden – aber einfach farbenprächtig beschrieben – und natürlich immer gewonnen.
Erst im Laufe der Zeit haben wir mehr und mehr Regelelemente hinzugefügt, da es auf Dauer so ganz ohne Zufallselement doch etwas eintönig wurde. Und in dem Punkt möchte ich der „Chronosaurus-Philosophie“ auch widersprechen. Wenigstens ab und an sollte ein Abenteuer doch an einen Scheideweg geraten, an dem Charakterwerte und Würfelglück – oder meinetwegen auch das Ziehen einer Karte, wie bei Arkana – entscheiden, wie die Handlung nun weitergeht.
Eine solche Herangehensweise ans Rollenspiel halte ich für Einsteiger im Übrigen in hohem Maße für geeignet. Man braucht sich nicht mit Regelerklärungen und Charaktererschaffung aufzuhalten – die Spieler müssen nicht mal das Buch gelesen haben. Mit einem einigermaßen kreativen Spielleiter, der nicht mal groß Erfahrung haben muss, kann nach nur kurzer Einführung mit Chronosaurus oder einem anderen „regellosen“ Szenario losgelegt werden. Nach ein, zwei Abenteuern könnte man sich dann entscheiden, doch ein wenig Regelwerk hinzuzufügen. Heutzutage stehen mit FATE, Arkana, Savage Worlds etc. pp. unendlich viele Systeme zur Verfügung, die im positiven Sinne einfach sind und Kreativität sowie Spielfreude eher fördern als behindern.
Eigentlich sollten nun noch zwei, drei weitere Gedanken folgen – da der Text aber wie gesagt so lange ruhte, und ich mir keine Notizen gemacht habe (immer schlecht), sind mir diese nicht mehr so ganz gegenwärtig. Daher an dieser Stelle nur noch ein paar oberflächliche Äußerungen.
Spaß und Spiel
Zum einen wollte ich Chronosaurus als gelungenes Beispiel für Humor im Rollenspiel bezeichnen. Die eigentlichen Abenteuer verzichten nämlich auf gezwungene Gags und flache Witze. Für sich genommen handelt es um durchaus ernste Handlungsabläufe. Das einzig absurde ist die Grundsituation – dass nämlich eine Horde Dinos durch die menschliche Gesellschaft tobt. Es ist dann allein an den Spielern, daraus humorige Situationen zu entwickeln und auszuspielen. Auch wenn es nicht vorgesehen ist, könnte eine Gruppe das alles auch bierernst spielen. Und genau dies halte ich für den richtigen Ansatz. Humor im Rollenspiel darf nicht erzwungen werden. Richtig lustig wird es nur, wenn der Humor von allein aus der Situation entsteht.
Schließlich kamen mir beim Lesen natürlich zahlreiche Ideen, was ich an dem Szenario ändern würde, so ich es dereinst mal leite. Die meisten hab ich leider wieder vergessen – aber abgesehen davon, dass ich dem Ganzen vermutlich FATE-Regeln verpassen würde, hätte ich Spaß daran, mir mehr Hintergrundstory für die Dino-Zivilisation auszudenken. Eventuell auch ein kleines Abenteuer dort bevor die Zeitreise losgeht.
Aber vermutlich wird daraus mal wieder sowieso nix – keine Zeit.