Zwar ist der Zwist zwischen Iron Man und Captain Marvel nur mäßig gelungen erzählt – dennoch bereue ich die Lektüre nicht. #TeamCarol
Carol gegen Tony gegen die Zukunft
Zunächst ein kurzer halbwegs spoilerfreier Abriss der Handlung: Nachdem das Marvel-Universum (genau genommen das Multiversum) komplett vernichtet und neu errichtet worden war (man möge dies alles in Secret Wars nachlesen), bemühen sich die Helden wie gehabt, Sicherheit und Ordnung auf Erden zu garantieren. Altbekannte und neuere Teams und Gruppierungen gehen dabei mehr oder weniger erprobte Wege.
Da wäre zum einen Tony Stark aka Iron Man mit den guten alten Avengers – und dann Carol Danvers, die als Captain Marvel mit Alpha Flight und den Ultimates eher den kosmischen Bedrohungen die Stirn bietet. Mittenmang stecken schon seit geraumer Zeit die Inhumans, die aus Gründen (Terrigen-Wolke – wissta bescheid) gerade etwas Zuwachs an Personal und Bedeutung erhalten. Darunter ein Neuzugang namens Ulysses, der offenbar über die Fähigkeit verfügt, künftige Katastrophen und Bedrohungen recht präzise vorherzusagen.
Das macht sich nun Carol Danvers zu Nutze und verhindert damit gleich zu Beginn eine große Bedrohung durch irgendwelche Celestials. Tony Stark lehnt es hingegen vehement ab, Ulysses‘ Visionen zur Gefahrenabwehr zu nutzen und sieht sich nach ein paar Fehlschlägen in seiner Einschätzung bestätigt. Es kommt also erneut zum Bürgerkrieg innerhalb der Superhelden-Community.
Streitet euch doch nicht, Kinder!
Ein – meist nur kurzer – handfester Streit unter den “Guten” hat in Superhelden-Comics durchaus Tradition. Es ist ein immer wiederkehrendes Motiv, dass Helden oder Heldengruppen aus verschiedenen Serien bei einem Zusammentreffen erst einmal aneinandergeraten.
Meist handelt es sich um ein hanebüchenes Missverständnis (das man durch zwei, drei gewechselte Worte aus der Welt geschafft hätte), das dazu führt, dass sich die Helden ein paar Seiten lang miteinander prügeln – um sich dann aber doch zu vertragen und sich gegen einen gemeinsamen Feind zu verbünden.
Eine oft genutzte Variante ist der vom Bösewicht besessene oder verzauberte Held, der sich gegen seinen Willen mit seinen Mithelden kloppt, ehe der Zauber gelöst werden und man gemeinsam gegen den Schurken zu Felde ziehen kann. Beides hat man oft und gern bei Marvel und DC gesehen – wie sonst sollte auch herauszufinden sein, ob die Fantastischen Vier die Avengers umhauen können – oder ob Shazam gegen Superman bestehen kann.
Fraktionen und Bürgerkriege
Etwas jünger – und meines Wissens auf Marvel beschränkt – ist die Idee, dieses Motiv deutlich auszuweiten: auf ein komplettes Crossover-Großereignis, das das komplette Superheldenuniversum mit allen Figuren und Fraktionen umspannt. Da es zwischen X-Men, Inhumans und “normalen” Superhelden (nicht zu vergessen: die Eternals) immer mal wieder Unstimmigkeiten gab, ist das streng genommen auch nicht so neu. Als es 2006 mit Civil War aber erstmals zu einem regelrechten Bürgerkrieg unter den Superhelden kam, hatte das schon eine eigene Qualität.
Ohne jetzt auf das erste Crossover-Ereignis dieser Art eingehen zu wollen, war es bekanntlich erfolgreich genug, dass es 2016 Vorlage für den gleichnamigen MCU-Film wurde. Ich hatte es ganz gern gelesen und finde die Grundidee, dass sich die Helden über grundlegende moralische Fragen zerstreiten, durchaus erfrischend. Das 2012er Avengers vs. X-Men (kurz: AvX) würde ich sogar in die Kategorie “grandios” einordnen.
Finanzielle crossmediale Erwägungen
Nun ist es durchaus offensichtlich, warum Marvel just im Jahre der Civil-War-Verfilmung in den Comics einen zweiten Teil dieser Idee präsentiert. Auch die wachsende Bedeutung der Inhumans in den Comics ist angesichts der nahenden TV-Serie nicht sonderlich rätselhaft. Schließlich ist auch die Wahl der beiden Haupt-Kontrahenten durchschaubar: Iron Man ist der unangefochtene Liebling des MCU – und Captain Marvel muss dem Mainstream-Publikum langsam mal bekannter gemacht werden, damit 2019 auch Leute in ihren ersten Film gehen.
Das soll wohlgemerkt keine Kritik sein. Solche crossmedialen Erwägungen halte ich ausdrücklich für legitim und auch wenn ich die TV-Serien bislang eher mittel fand, wünsche ich Marvel von ganzem Herzen großen Erfolg in allen Medien und Kunstformen. Dennoch glaube ich, dass diese Erwägungen in diesem speziellen Fall für eine allzu heiße Nadel gesorgt haben, mit der Civil War 2 gestrickt wurde. Schreiten wir zur Kritik.
Ein neues Bewertungsschema
Doch halt! Ich denke schon seit längerem auf einem eigenen Bewertungsschema für Geschichten herum – egal ob Buch, Comic, Film oder Serie. Schließlich können mir Stories mit absurd unlogischer Handlung gefallen – wenn sie spannende Charaktere haben (die Flash-TV-Serie). Aber mir sagen auch Geschichten mit unspektakulärer Dramaturgie zu, wenn sie in einem faszinierenden Szenario spielen (die Scheibenwelt-Romane). Ich hab das mal in fünf zu bewertende Kategorien unterteilt, die ich hier erstmals zur Anwendung bringen möchte:
- Charaktere: Auch wenn ich mich auf keine exakte Reihenfolge festlegen will, stehen die Charaktere sicher an erster Stelle. Ohne gute Protagonisten, mit denen man mitfiebert, taucht eine Geschichte einfach nichts. Einerseits müssen sie die Handlung bestimmen, also aktiv sein – und andererseits in ihrem Tun vielleicht nicht vorhersehbar aber unbedingt nachvollziehbar sein.
- Konflikte: Ohne Konflikt keine Geschichte. Wenn es nicht zwischen den Protagonisten oder gar in ihnen selbst knirscht, muss der Ablauf der Ereignisse nicht erzählt werden. Aus den Konflikten entsteht die Spannung, ihre Lösung muss also herausfordernd sein – aber sie müssen den Konsumenten auch so berühren, dass er die Lösung herbeisehnt.
- Dramaturgie: Ob nun die Akte eines Dramas oder die gute alte Heldenreise – der Ablauf der Ereignisse sollte einem stimmigen Schema folgen und dennoch hier und da überraschend sein.
- Themen: Gute Geschichten behandeln zudem ein Thema, manchmal auch mehrere – etwas “worum es eigentlich geht”. Diese Themen sollten für den Konsumenten relevant sein – also etwas, was ihn beschäftigt. Wahlweise ist das Thema so herausfordernd, dass es den Konsumenten von da ab beschäftigt. Im besten Falle beides.
- Szenarien: Schließlich lässt sich das alles in ein mehr oder weniger interessantes Szenario einbetten, eine Welt, ein Umfeld, das fantastisch sein kann – aber natürlich nicht muss. Das Szenario muss aber konsistent, in sich schlüssig und konsequent zu Ende gedacht sein – sonst bleibt es kaum mehr als Kulisse.
So weit, so banal. Mit diesem Rüstzeug rücke ich Civil War 2 jetzt zu Leibe – auch wenn ich an zwei Stellen schon mal meinen leichten Unmut über die ersten Seiten davon angerissen habe. Ab hier gilt
WARNUNG VOR DEM SPOILER!
Charaktere: Was wollen Carol und Tony? Und ist da noch jemand?
Damit sind wir gleich beim größten Problem des Ganzen: Ich verstehe nicht, warum die beiden Hauptfiguren tun, was sie tun – zumindest wird dem Leser eine nachvollziehbare Erläuterung lange Zeit vorenthalten. Außerdem fokussiert sich die Handlung so sehr auf die zwei, drei Hauptfiguren, dass die Motivation der Nebenfiguren komplett schleierhaft bleibt. Warum ist Doctor Strange zum Beispiel sofort auf Tonys Seite – obwohl noch nicht mal klar ist, warum Tony selbst auf seiner Seite ist?
Gut, letzteres ist vermutlich kaum vermeidbar, wenn man bedenkt, dass die Story in sechs Heften oder so fertig erzählt sein muss. Sicherlich wird auch vieles davon in den Nebenhandlungssträngen der tie-ins behandelt. Dennoch meine ich mich zu erinnern, dass beim ersten Civil War und bei AvX viel deutlicher rüberkam, wer sich jetzt warum auf welche Seite geschlagen hat.
Aber auch wenn die Motivationslage bei den beiden Haupt-Kontrahenten deutlich klarer ist – so will Tony halt partout auf der Seite der “Freiheit” stehen, sich unbedingt an Steve Rogers halten -, finde ich sie dennoch nicht nachvollziehbar.
Tony Stark ist als Iron Man ein erfahrener Kämpfer und Anführer, der schon oft genug selbst auf vage Vermutungen hin Freunde und Untergebene in gefährliche Situationen geschickt hat. Was wirft er Carol eigentlich vor, als Rhodey unter ihrem Kommando ums Leben kommt? Ja, Rhodey war sein Freund – aber verdammt noch mal auch Carols Geliebter.
Völlig unabhängig, wie Ulysses’ Fähigkeiten funktionieren, wäre es genau in diesem Fall unverantwortlich gewesen, sich nicht darauf vorzubereiten, dass Thanos auf der Erde erscheint. Hätte Ulysses hier falsch gelegen, wäre Thanos halt nicht gekommen. Na und?
Und auch als es dann wirklich heftig wird und Bruce Banner ins Gras beißt – was hätte Carol denn tun sollen? Es drauf ankommen lassen? Auf den Deal zwischen Banner und Hawkeye hatte sie ja nun keinen Einfluss.
Was also ist Tonys Problem? Und wieso geht er damit so unprofessionell um? Die Figur ist an dieser Stelle nicht schlüssig.
Leider übernimmt Carol in der zweiten Hälfte diesen Part. Denn als endlich die Fälle kommen, in denen es wirklich heikel ist, wie man reagiert – vor allem beim letzten mit Morales und Rogers -, und endlich mal klar wird, was Tony tatsächlich für berechtigte Probleme mit Ulysses hat (er sieht nämlich gar nicht in die Zukunft sondern betreibt Profiling), wird sie auf einmal komplett beratungsresistent. Warum?
Sowohl Tony als auch Carol müssten professionell genug sein, um die Informationen von Ulysses skeptisch zu hinterfragen aber auch ihren Nutzen zu erkennen – um dann jeweils fallorientiert damit umzugehen. Warum sie es nicht tun, wird zu wenig erklärt. Das ist in der Vergangenheit besser gelungen.
Konflikte: Was genau ist jetzt eigentlich das Problem?
Auf den ersten Blick besteht der Konflikt natürlich zwischen Tony und Carol. Aber wofür stehen sie jeweils? Carol macht nur ihren Job – vielleicht nachher etwas zu skrupellos, aber okay. Es ist Tony, der den Beef vom Zaun bricht. Wenn man es ganz genau nimmt, geht es also die ganze Zeit um einen inneren Konflikt, den Tony mit sich und der Welt austrägt. Tatsächlich sagt das gegen Ende auch jemand: Tony habe gar kein Problem damit, dass Carol Fehler machen könnte – tatsächlich habe er Angst vor denjenigen gehabt, die nach Carol auf Ulysses’ Möglichkeiten zugriffen und dann weniger professionell und integer damit umgingen.
Eigentlich geht es also um einen in Superheldengeschichten recht beliebten Urkonflikt: Wie gehe ich nämlich mit nahezu unbegrenzten Machtmitteln um? Korrumpieren sie mich nicht früher oder später? Und wenn die Macht so gewaltig ist – wird dann nicht auch die Korrumpierung gewaltig? Das ist ja schon in AvX sehr gut erzählt worden – aber auch bei DC mit Genosse Superman, Injustice und ähnlichen Elseworld-Geschichten.
Hinzu kommt Tonys Sorge, in einem moralischen Konflikt (den er selbst von Zaun bricht, aber egal) auf der falschen Seite zu stehen. Durchaus verständlich, wenn man bedenkt, wie er beim ersten Civil War drauf war und was er sich bei Axis geleistet hat. Wenn ich es recht bedenke, ist dieser Part eigentlich ziemlich gut gelungen.
Dramaturgie: Das klassische Drama
Der Handlungsverlauf folgt den klassischen Akten eines Dramas: Personen und Thema werden vorgestellt (Carol, Tony, Ulysses und die Fähigkeiten des letzteren). Der Konflikt bricht aus (Tony entführt Ulysses, um sein Gehirn zu scannen, als Carol & Co ihn befreien haben sie alle an seiner Hulk-Vision teil, Banner wird gestellt) – und erst einmal scheinbar gelöst (Hawkeye tötet Banner ohne dass Carol davon wusste und wird vor Gericht gestellt). Nach dem retardierenden Moment (Hawkeye wird freigesprochen und Carol macht erst mal weiter) folgt die überraschende Wendung (Ulysses letzte Vision) und der große Knall am Schluss (die große Schlussklopperei bei der Tony ausgeschaltet und Ulysses aus dem Spiel genommen wird).
Hieran gibt’s nicht zu mäkeln, das ist handwerklich einwandfrei – wie übrigens auch die hervorragenden Zeichnungen.
Themen: Profiling und zerbrechende Freundschaften
Ich glaube, hier ist die ganze Schose wieder etwas schwach auf der Brust. Denn die Themen, die diese Geschichte bietet, werden meines Erachtens nicht gut genug ausgearbeitet – oder schlichtweg gar nicht genutzt.
Das eigentliche Thema wäre nämlich das Auseinanderfallen einer Familie beziehungsweise von Freundschaften gewesen. Das darzustellen gelang gerade mal im Ansatz – ist aber möglicherweise in den tie ins besser ausgearbeitet. Der Automatismus, mit dem Tony wortwörtlich in den Bürgerkrieg zieht, wird mir zu alternativlos dargestellt – als wäre dies schon ein eigenes Superhelden-Motiv, das bedient werden muss.
Worauf die Autoren hinaus wollten, ist mir durchaus klar: Das Minority-Report-Dilemma. Was also darf man auf die Vorhersage eines Verbrechens oder einer Gefahr geben? Und welche Maßnahmen darf man ergreifen? Das ist angesichts der tatsächlichen Profiling-Visionen durchaus ein relevantes Thema.
Ich finde halt, dass es nicht so recht gelungen ist, das angemessen darzustellen. Vielleicht, weil zu sehr darauf gesetzt wurde, die Helden gleich zu Beginn in zwei Lager aufzuteilen.
Szenario: Eine Superheldenwelt voller Grautöne
Die Welt, in die uns Marvel nun schon seit Jahrzehnten entführt, wird schließlich auch in diesem Epos stimmig und reizvoll dargestellt. Es gelingt Marvel immer wieder, eine Welt zu zeigen, die unserer sehr ähnlich ist – in der Superhelden dennoch eine folgenreiche Tatsache sind.
Auch wenn das natürlich nie bis in die letzte Konsequenz durchdacht ist, nimmt man dieser Welt doch einen Hauch Realismus ab – vielleicht auch, weil ihre Helden und Schurken eben nicht immer in schwarz und weiß unterteilt sind sondern alle Grauschattierungen abdecken. Ich besuche diese Welt immer wieder gern.
Fazit: Heiße Nadel
Trotz des versöhnlichen Schlussurteils bleibe ich dabei: Das Ding wurde mit allzu heißer Nadel gestrickt, wodurch vor allem der anfängliche Aufbau der Geschichte arg misslungen ist. Dennoch bin ich froh, mich da durchgequält zu haben – denn alles in allem hat es schon Laune gemacht.
#TeamCarol – Sie hat die ganze Zeit einfach nur ihren Job gemacht.