Lesetagebuch: Blame!

Schönes Geschenk im Schuber

Allerdings sind meine Vorbehalte gegen dieses Sub-Medium/-Genre (wasauchimmer) schon länger nicht mehr allzu groß. Daher war ich ehrlich interessiert und positiv überrascht, als mir meine Gemahlin zum Geburtstag einen großen Schuber voller Taschenbücher schenkte, die unter dem Titel Blame! ein zehnbändiges abgeschlossenes Manga-SF-Epos darstellen. Und um die Expertinnen und Experten gleich zu beruhigen: Ja, das Prequel Noise war ebenfalls dabei.

Adventure-Seeker Killy in the Cyber-Dungeon-Quest

Ich weiß, das Attribut ist mehr als abgedroschen – aber die Geschichte, die sich in diesem Werk entfaltet, ist im besten Sinne kafkaesk. Der Held namens Killy befindet sich auf einer Suche, die ihn durch eine (räumlich wie zeitlich) gewaltige labyrinthartige Welt führt, die von kaum erfassbaren Wesenheiten regiert wird und unverständlichen Regeln folgt. Ohne zuviel vorweg nehmen zu wollen: Killys Suche hat natürlich ein offenes Ende – wenn man nicht gar ihr Scheitern annehmen muss. Tatsächlich aber lässt das Ende – wie die gesamte Geschichte – den Leser reichlich ratlos zurück. Sie in einfachen Worten wiederzugeben ist daher nicht leicht.

Vielleicht die Zukunft – vielleicht die Erde

In meinen Augen ist Blame! ein hervorragendes Stück Science-Fiction. Auch wenn so gut wie nichts erklärt wird. Tatsächlich kommen einige der zehn (oder elf, wenn man das Prequel hinzuzählt) Taschenbücher fast völlig ohne Text aus. Die Wunder der fernen Zukunft sprechen in den grandiosen Bildern für sich selbst und wirken doch schlüssig und gut durchdacht.

Dennoch möchte ich mal versuchen, das Szenario zu beschreiben. Andeutungen im Prequel lassen vermuten, dass wir uns mehrere Tausend Jahre in der Zukunft befinden. Ein Panel in Noise legt zudem die Vermutung nahe, dass die gewaltige künstliche Struktur, in der Killys Suche stattfindet, von der Erde aus „gewachsen“ und in ihrer Ausdehnung längst die Mondbahn überholt hat.

Mensch-Maschinen

Das intelligente Leben (von „Menschheit“ mag man kaum mehr sprechen) hat sich in mehrere Richtungen entwickelt.

Da ist zunächst die Netzwerksphäre, eine gänzlich virtuelle Welt, in die sich etliche Menschen und KIs (wobei die Unterscheidung zwischen beidem oft schwerfällt) zurückgezogen haben. Der Kontakt zwischen virtueller und realer Welt ist mittlerweile jedoch durch eine Epidemie abgebrochen. Technische Interfaces, mit denen ein Kontakt zur Netzwerksphäre möglich wäre, gibt es kaum noch. Der einzige Weg, dorthin vorzudringen ist der Besitz so genannter Netzwerkgene, die bei fast allen Menschen durch ein Virus zerstört wurden. Die wenigen „intakten“ Menschen, die es noch geben könnte – bzw. ihr Genmaterial –, sind übrigens auch das Ziel von Killys Suche. Im Gegenzug können die virtuellen Wesen aus der Netzwerksphäre nur noch eingeschränkt auf die reale Welt zugreifen und dort agieren.

Dann gibt es das „Siliziumleben“ – Cyborg-Zombies, die Killys erklärte Feinde sind. Sie wirken, als wären sie der düstersten Warhammer-40k-Vision entsprungen. Auch wenn sie meist als Widersacher auftreten, handelt es sich bei ihnen durchaus um eine differenziert dargestellte Fraktion, die beispielsweise auch über friedliche Forscher verfügt. Sie sind der diesseitigen Welt sehr verhaftet, haben aber ebenfalls großes Interesse daran, Zugang zur Netzwerksphäre zu erhalten. Für letztere stellt das Siliziumleben jedoch eine Bedrohung dar. Der Zugang muss um jeden Preis verwehrt bleiben.

Und schließlich existieren noch zahlreiche mehr oder minder „normale“ Menschen, die teils stark mutiert, teils symbiotisch mit Maschinen verbunden sind, dass sie ebenfalls als Cyborgs gelten können. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, stellen sie anscheinend die Verlierer und Opfer der Entwicklung dar – auch wenn sich alle Menschengruppen irgendwie doch gut an ihre jeweilige Umgebung angepasst haben, sei sie auch noch so bizarr.

Etliche „reine“ KIs und (teils halb-biologische) Maschinenwesen runden das Panoptikum ab. Im Übrigen wird letztlich nie hundertprozentig klar, welcher dieser Gruppierung nun eigentlich Killy selbst angehört.

Faszinierend trostlos – erschreckend großartig

Diese Konstellationen ergeben ein schrecklich trostloses und dennoch faszinierendes dystopisches Endzeit-Szenario. Mich zumindest hat der große Interpretationsspielraum, den dieses Epos dem Leser lässt, schwer begeistert. Hinzu kommen hervorragende Zeichnungen, die die gigantomanen Strukturen und das absolut Fremdartige erschreckend gut wiedergeben. Es soll wohl eine Fortsetzung der Reihe geben. Da werd ich alsbald mal nach forschen.

Kategorien: Lesetagebuch

1 Kommentar

  1. Ich bin schwerstens beeindruckt, dass Du den Blick über den Tellerrand erneut wagst, nachdem die Striker-Reihe eher ein eindeutiger Misserfolg war. Ich selbst habe die Reihe (ohne Vorband) zweimal gelesen und kam mir jedesmal etwas verloren vor. Allerdings konnte ich auch nicht von Lesen lassen.br /Ohne aber Interpretationen zu verwaschen oder zuviel erzählen zu wollen: Es gibt eine Form von Ende, wenngleich es eher ein (Neu)Anfang ist… Und Killy ist in Wirklichkeit der, der er zu sein scheint. br /Okay, der letzte Satz war fies. XD

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